Ein Wissenschafts-Praxis-Projekt
In Rheinhessen widmen sich mehr als 150 Kultur- und Weinbotschafter sowohl der Vermittlung von Wissen um die kulturellen und historischen Wurzeln der Weinregion als auch der Stärkung der regionalen Identität. Konkret besteht die Arbeit der Botschafter vor allem in der Ausarbeitung und Durchführung von Ortsführungen und Rundgängen in der Region. Im BA-Studiengang Kulturanthropologie/Volkskunde werden Studierenden im Modul „Praxis empirischer Kulturanalyse" methodische Zugänge und deren praktische Anwendung vermittelt. Die Studierenden sollen im Rahmen von Seminaren dieses Moduls eigene kleine empirische Projekte wie qualitative Interviews oder Teilnehmende Beobachtungen durchführen, sinnvollerweise mit regionalem Schwerpunkt.
Diese beiden Zugänge bieten die Schnittstelle für das vorliegende Projekt. Im Tandem werden jeweils ein Kultur- und Weinbotschafter sowie ein Studierender des im Sommersemester 2013 stattfindenden Seminars „Regionale Identität" zusammenarbeiten. Mittels der Oral-History soll ein lebendiger Einblick in die Alltags- und Lokalgeschichte gewonnen werden. Vordergründiges Ziel ist es, die jeweilige Ortsführung um Erinnerungen und Erzählungen von Zeitzeugen zu ergänzen, sie mit „O-Tönen" sowie gegebenenfalls privatem Fotomaterial zu versehen. Dahinter steht der Wille, die ortsansässigen Menschen als „Wissensspeicher" ernst zu nehmen. Dieser Zugang wird es ermöglichen, über das breite Wissen der Kultur- und Weinbotschafter sowie das Geschichtsbuchwissen hinaus eine lebendige Annäherung an rheinhessische Ortgeschichten zu erzielen und auf diesem Wege den Menschen und ihren Geschichten näherzukommen.
Neben diesem vordergründigen Ziel ist ein weiterer Praxistransfer vorgesehen. Zunächst profitieren die Studierenden vom direkten Kontakt mit ihrem Tandempartner, einem Kultur- und Weinbotschafter. Durch diesen erhalten sie Zugang zu einem rheinhessischen Ort – einen lebendigen Zugang, den wissenschaftliche Literatur alleine nicht bieten könnte. Im Gespräch mit dem Kultur- und Weinbotschafter können die Studierenden ihr Problembewusstsein schärfen, erste Fragen formulieren. Gemeinsam geht das Tandem dann die bestehende Führung durch und identifiziert alltags- und erfahrungsweltliche Lücken, die durch die Erinnerungen von Zeitzeugen gefüllt werden könnten. Es wird sowohl im Seminar als auch im Tandem zwischen Studierenden und Kultur- und Weinbotschaftern ein Leitfaden für die bevorstehenden Interviews erarbeitet. Durch die Zusammenarbeit im Tandem ist gewährleistet, dass die Studierenden Zugang zu geeigneten Interviewpartnern in den jeweiligen Orten erhalten. Das Interview selbst, das im Rahmen der universitären Lehre methodisch vorbereitet wird, findet zu dritt statt. So wird einerseits erreicht, dass der Zugang zu den Interviewpartnern auf vertrauensvoller Basis stattfindet, andererseits profitieren die Kultur- und Weinbotschafter von der Teilnahme an einem wissenschaftlichen Interview. Das erfasste lebendige Wissen geben sie wiederum an ihre Gäste weiter. Sie werden zudem in einem Workshop, der in Zusammenarbeit mit den Kreisvolkshochschulen Alzey-Worms und Mainz-Bingen im Herbst 2013 stattfinden wird, in die Methodik der Oral History eingeführt, so dass sie die Methode für ihre weitere Arbeit dauerhaft eigenständig nutzen können. Die Ergebnisse des Projektes werden dokumentiert und in die bestehenden Führungen eingearbeitet.
Die Umsetzung des Projektes wird durch die finanzielle Unterstützung des Rheinhessen-Marketing e.V. sowie die Kooperation mit den Kultur- und Weinbotschaftern Rheinhessens ermöglicht. Kooperationspartner sind ferner die Kreisvolkshochschulen Alzey-Worms und Mainz-Bingen.