Studienbegleitende Exkursion in die Kaschubei

Mainzer Studierende im kaschubischen Feld

Was zeichnet die Grenzregion Kaschubei aus? Wer bezeichnet sich heutzutage als Kaschube? Wie lässt sich die kaschubische Identität charakterisieren? Diesen und noch weiteren Fragen versuchten wir, eine Gruppe von 19 Studierenden des Faches Kulturanthropologie/Volkskunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, uns während einer Exkursion in die Kaschubei vom 5. bis 12. Mai 2018 empirisch anzunähern. Wir begaben uns im Rahmen des großen zweisemestrigen Master-Projektes „Geschichte und Revitalisierung der kaschubischen Kultur“ mit großen Erwartungen und voller Neugier auf eine kulturanthropologische Entdeckungsreise in ein uns bisher weitgehend unbekanntes Territorium.


Foto: privat

Begleitet wurden wir während unserer Reise nicht nur von unserer Projektleiterin, Dr. Oliwia Murawska, Univ.-Prof. Dr. Michael Simon, Dr. Sandra Keßler und Dominique Conte, M.A., sondern auch von fünf Danziger Studierenden der Germanistik und der Kaschubischen Ethnophilologie, die am gesamten Exkursionsprogramm teilnahmen. Zwar begann die Exkursion mit einem verspäteten Flug nach Danzig, doch wurden wir nach der anschließenden Busfahrt und einer nächtlichen Wanderung zu unseren Unterkünften mit einem beeindruckenden Sonnenaufgang belohnt. Auch der mangelnde Schlaf sollte uns nicht aufhalten, in den kommenden Tagen viele Abenteuer zu erleben und bleibende Erinnerungen zu sammeln, die wir nach Mainz mitnehmen konnten.

Die ersten fünf Nächte verbrachten wir auf den Höfen „Agroturystyka Dom Na Skarpie“ und „Pokoje u Marioli" im kleinen südkaschubischen Dorf Mëgòwò, das sich inmitten des kaschubischen Naturschutzparkes, direkt am See Słupino, befindet. Hier erhielten wir von unseren Herbergseltern jeden Morgen nicht nur frische Eier und selbstgemachten Quark, sondern konnten sogar jene Milch trinken, die wir am Vorabend gemolken hatten. Mit Fotokameras und Feldtagebüchern ausgestattet, besuchten wir viele verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen und Museen. Dazu gehörten zum Beispiel das Freilichtmuseum „Kaschubischer Ethnografischer Park“ in Wdzëdzé, das 1906 vom Volkskundler-Ehepaar Teodora und Izydor Gulgowski gegründet wurde, das Museum „Ziemi Kościerskiej” in Kòscérzëna und das Museum „Kaszubskie im. Franciszka Tredera“ in Kartuzë. Ausgiebige Wanderungen durch die südkaschubische Landschaft, eine Bootstour auf dem Weitsee und die Beobachtung diverser alltagskultureller Phänomene trugen maßgeblich zur Erweiterung unseres „kaschubischen” Horizontes bei. Auch wanderten wir unter anderem auf den „Spuren des Remus“, einer in der Kaschubei sehr bekannten literarischen Figur, die vom kaschubischen Schriftsteller Aleksander Majkowski zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde.


Foto: privat

Kulinarisch näherten wir uns der Kaschubei bei gemeinsamen Grillabenden, bei dem Besuch einer Forellenfarm und bei einem Abendessen im kaschubischen Lokal „Tawerna Mestwin“. Während der täglichen Einkäufe im kleinen Dorfladen unweit von Mëgòwò konnten wir erste Erfahrungen mit der polnischen Sprache machen, doch zum Glück unterstützten uns unsere polnischen Kommilitonen tatkräftig mit ihren Übersetzungen. Auch für die passende musikalische Begleitung war gesorgt: So spielte unser Kommilitone der Kaschubischen Ethnophilologie der Universität Danzig von morgens bis abends kaschubische Lieder auf seinem Akkordeon und führte uns auf diese Weise somit in die Klangwelten der kaschubischen Volksmusik ein.

In den letzten drei Tagen erlebten wir in Danzig, der historischen und „heimlichen Hauptstadt“ der Kaschubei, ein Kontrastprogramm: Auf das ländliche Leben folgte nun der Großstadttrubel. Ein wichtiger Programmpunkt war unter anderem ein Workshop am Germanistischen Institut der Universität Danzig, mit dem unser Fach im Rahmen des Projektes kooperiert. Geleitet wurde der Workshop zum Thema “Günter Grass und das Kaschubische” von der Germanistin und Expertin auf dem Gebiet der kaschubischen Literatur und Kultur, Dr. Miłosława Borzyszkowska-Szewczyk. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass war bekanntlich selbst ein Kaschube und stellte in zahlreichen seiner Werke Bezüge zu seiner Heimat her. Am Ende des Workshops präsentierten wir unsere Zwischenergebnisse, was uns vor Augen führte, welche Fülle an empirischem Material wir bereits eigenständig erhoben hatten.


Foto: privat

Zurück in Mainz liegt der Schwerpunkt unseres Hauptseminars nun auf der inhaltlichen Aufbereitung unseres Projektthemas: So beschäftigen wir uns mit der Geschichte der Kaschubei, der kaschubischen Sprache, mit der medialen Präsenz der Kaschuben, der kaschubischen Bewegung im 20. Jahrhundert oder den kaschubischen Fremd- und Selbstbildern. In der dazugehörigen Übung werten wir unser in der Kaschubei erhobenes Fotomaterial mithilfe kulturanthropologischer Bildanalysemodelle aus und bereiten dieses für die gemeinsam konzipierte und organisierte Fotoausstellung auf.

Dr. Miłosława Borzyszkowska-Szewczyk wird uns im Wintersemester 2018/2019 bei der Vorbereitung der Ausstellung unterstützen und auch unsere Danziger Kommilitonen werden für eine Woche zu uns nach Mainz kommen, um an der Ausstellung mitzuwirken. Die Fotoausstellung wird dann im Sommer 2019 in der „Schule des Sehens“ auf dem Mainzer Campus und anschließend in der Universität Danzig zu sehen sein. Gerade weil die Kaschubei für viele Außenstehende unbekannt ist, hoffen wir, dass wir mit unserem Projekt einen Beitrag zu ihrer Erforschung und zugleich einer (Re-)Vitalisierung des Themas in der deutschen Kulturanthropologie/Volkskunde beitragen können.

Vanessa Rockstein, Murielle Winckler